Das Spektakel stellt sich zugleich als die Gesellschaft selbst, als Teil der Gesellschaft und als Vereinigungsinstrument dar. Als Teil der Gesellschaft ist das Spektakel ausdrücklich der Bereich, der jeden Blick und jedes Bewußtsein auf sich zieht. Aufgrund dieser Tatsache, daß dieser Bereich abgetrennt ist, ist er der Ort des getäuschten Blicks und des falschen Bewußtseins; und die Vereinigung, die es bewirkt, ist nichts anderes als eine offizielle Sprache der verallgemeinerten Trennung.
(Guy Debord - Die Gesellschaft des Spektakels)
Inhalt
Die Gesellschaft des Spektakels kommt bei der "Diskussion" (die keine ist, da solche wenigstens ein Mindestmaß an Rationalität erfordern würde) um Sarrazin und dessen Buch mal wieder zu ihrem Begriff.
Das Buch zu lesen, oder zu diskutieren verbietet sich jedoch alleine schon daher, dass jeder Idiot meint eine Meinung dazu haben zu müssen. Eben dies ist der beste Grund keine "Meinung" zu haben.
Es gibt in diesem Spektakel nichts zu verteidigen, zu kritisieren und nichts zu erkennen und es ist nicht zu unterscheiden, wer mehr Unrecht hat: jene Multikulturalisten, die jede Kritik an Migranten unter Rassismusverdacht stellen, oder jene Menschenfeinde vom Schlage Sarrazins, die das Recht des Einzelnen noch zu atmen von dessen Produktivität abhängig machen wollen.
Darum einen großen Bogen zu machen, sich nicht einzubringen mit einer "Position", nicht bereit zu sein demokratisch über die Würde von Menschen abzustimmen ist eine notwendige Form geistiger Hygiene, sowohl im Bezug auf das, was da diskutiert wird, wie auch in welcher Form dies getan wird.
Dabei kann es auch nicht darum gehen, ob der von Sarrazin in seinem Buch hervorgebrachte Statistikhaufen nun den Anforderungen wissenschaftlicher Datenerhebung entspricht bzw. ob die Zahlen überhaupt richtig sind.
Zahlen sind an sich neutral.
Ob zum Beispiel die durch Zahlen untermauerte Erkenntnis, eine gesellschaftliche Gruppe sei im Bereich der Bildung nicht auf dem allgemeingesellschaftlichen Stand, nun dazu genutzt wird die Bildungs- und Lebensbedingungen dieser Gruppe zu verbessern, oder ob sie genutzt werden diese sozial zu exkludieren, wird nicht aus den Zahlen an sich zwangsläufig, sondern aus dem Bewusstsein dessen, der sie betrachtet und interpretiert.
Es geht also nicht darum, ob die nüchternen Fakten in Sarrazins Buch richtig sind, es geht darum, was Sarrazin und diese Gesellschaft betreiben: die Aussonderung der und die ideologische Aufrüstung gegen die "Unproduktiven", mit der sich die kleinbürgerlichen Neurotiker, aus denen die "Mitte der Gesellschaft" heute überwiegend besteht, ihre eigene Angst vor dem Absturz in die Schicht der Nicht-Mehr-Gebrauchten verdrängen.
Dies im Einklang mit einer gesellschaftlichen Zoologie, welche die Menschen nicht mehr in der Tradition der bürgerlichen Aufklärung als gleiche Subjekte anerkennen will, sondern sie wieder zurückstößt in den Sumpf aus Blutsurenge (Marx) und Gemeinschaftlichkeit, welche heute über Gene, Vererbung und Hinrforschung hergestellt werden soll.
Es ist die Hetze gegen die, welche dem "Volkskörper" schaden sollen, und beruht auf einer Geisteshaltung, mit der statistische Zahlen betrachtet werden. Und es ist eben nicht so, dass diese Zahlen notwendig zu einer solchen Geisteshaltung provozieren.
Deshalb ist auch die Kritik am Islam von Seiten Sarrazins und seiner Anhängern unerheblich (unabhängig davon, dass Islamkritik eine dringend zu übende Disziplin wäre, sowohl innerhalb als auch außerhalb der islamischen Community), da sie nur dazu dient, Material für eine Grenzziehung zu sammeln, die jenseits davon ist: nämlich jene zwischen "Produktiven" und "Unproduktiven".
Sarrazin ist auch durchaus kein Rassist im klassischen Sinne: gegen den gebildeten, "produktiven" Türken hat er nichts.
Seine Feinde sind jene Deutschen und Migranten, die Seinesgleichen an die eigene Überflüssigkeit in dieser Gesellschaft erinnern.
Eben deshalb bedarf es keiner inhaltlichen Diskussion über das Buch oder die Äußerungen dieses Mannes, ebensowenig wie des Diskurses mit seinen ob all der "Tabubrüche" in Dauerextase sich befindlichen Anhängern, sondern schlicht der Parteinahme.
Und eben da kommt man zu jener einfachen Dezision, die eigentlich schon immer das innerste Wesen des Kommunismus war: Parteinahme für die Erniedrigten, Geknechteten, Verlassenen und Verächtlichen. All jenen, denen Sarrazin auch gerne vorhält, wie gut man von einem Hungerlohn leben kann, in der reichsten Gesellschaft aller Zeiten.
Mehr bleibt inhaltlich zum Stand der "Diskussion" beim besten Willen nicht zu sagen.
Form
Zurück zum Spektakel, welchem in den letzten zwei Wochen all jene teilhaftig wurden, die das Pech hatten über Fernseher und Internet zu verfügen, oder die so unvorsichtig waren sich eine Zeitung zu kaufen.
Zurück zu jener öffentlichen Stampede, welche in regelmäßigen Abständen wie auch die Krisen des Kapitals über die gesellschaftliche Formation hereinbrechen.
Diesmal war es die Meinungsfreiheit, welche wieder einmal gegen die Gutmenschen und die Reichsschriftkammer im Bundeskanzleramt vom tapferen deutschen Volk gegen "die da oben" verteidigt wurde und flächendeckend in den Talkshows, den Zeitungen und den Radioprogrammen, also in der Kloake der Öffentlichkeit, beschworen wurde.
Es war, um in Analogie zu Krahl zu sprechen, eben jene Ideologie der Meinungsfreiheit, die es erlaubt, dass jeder Einzelne absolut seiner einzelnen und beschränkten Meinung anhängt und in diesem Konkurrenzkrieg aller Meinungen sich der allgemeine gesellschaftliche Konsens als besonderer der herrschenden Klasse durchsetzt.
Oder anders:
Ideologie [ist] in der spätkapitalistischen Gesellschaft nicht das Dogma, das man zu glauben und zu bekennen hat, sondern die Meinung, die endlos diskutiert zu werden hat. Das Recht auf Meinungsfreiheit ist die Pflicht zur Ideologie, zum Gewäsch der 'Menschen bei Maischberger' und anderswo. (ISF)
In diesem Gewäsch der Menschen bei der harten aber fairen Anne Will und anderen, ließ sich das ideologische Personal der neuen deutschen Meinungsfreiheit bestaunen:
- der "man-wird-ja-noch-sagen-dürfen" Typus, d.h. der Standarddeutsche, der sich schon immer von Linken oder Juden an der freien Rede gehindert sah, die verfolgende Unschuld
- Politikerabschaum, der seine eigene politische Klasse der Unfähigkeit und Abgehobenheit bezichtigte, um den Jubel der "die-da-oben"-Ideologen zu ernten und damit die Verteidigung der bürgerlich-demokratischen Institutionen für das Wohlwollen beim Volksmob verriet
- die "Vorzeigemigranten", die entweder erzählten wie beleidigt sie sind, oder was der Islam doch im Grunde für eine tolle Sache ist.
Zu Gute zu halten ist diesen aber immerhin der Glaube, dass man es bei seinen Kontrahenten noch mit ansprechbaren Leuten zu tun hat, welche durch die Präsentation von Individuellem noch zur Erfahrung fähig wären
- Leute, die nur darauf gewartet haben endlich Kritik und Polemik zugunsten des Ressentiments aufgeben zu können (Broder, Kelek, Giordano)
- Multikulti-Ideologen, die aus Prinzip jede Kritik an Migranten abwehren
- Politiker die tagtäglich eine rassistische Politik betreiben, HartzIV einführen und Bildungsmittel kürzen, was dann aber natürlich alles politisch korrekt verkauft werden muss
- der Wissenschaftler, der sich mit Genetik auskennt, aber nicht mit Sozialdarwinismus und deshalb leider übersieht, dass es für diesen gar keiner Wissenschaft, sondern Projektion und Ideologie bedarf
- Leserbriefschreiber und Internet-Kommentatoren, die zeigen, wie recht Antideutsche häufig doch haben
- strunzdumme Moderatoren
- zusammengefasst: Deutsche, Deutsche, Deutsche
Spätestens nach dieser Erfahrung ist jedem, der noch einen Begriff von Wahrheit hat, klar, dass es in diesem Zirkus nicht darum gehen kann eine "Meinung" anzubringen, sondern darum ihn zu negieren, wenn auch vorerst nur durch lautes Schweigen, und schnell das Weite zu suchen, wenn das Spektakel auf einen zurollt.
Sollte es aber tatsächlich so sein, dass die "schweigende Mehrheit" der Deutschen hinter den Thesen Sarrazins steht (und das ist zu befürchten), dann ist dies ein weiterer Grund unbedingt die parlamentarische Demokratie und ihre Institutionen, mit ihrem Wenigen an bürgerlicher Restvernunft, gegen jede Form von direkter Demokratie und Diktatur der Herde zu verteidigen. Als vorläufig einzige Garanten für die Möglichkeit des Besseren: einer Gesellschaft jenseits des spektakulären Bildes.
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