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Fragenübersicht Sind die jüngsten Äusserungen eines hochrangigen Russischen Militärs der letzte Beweis das Putin nach einem Sieg in der Ukraine direkt weiter nach Westen zieht und neue Länder angreift?
1 - 20 / 27 Meinungen+20Ende
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23.04.2022 08:01 Uhr
Es ist nicht nur ein hochrangiger Militaer, das wird jetzt auch von RIA-Novosti, der staatlichen Nachrichtenagentur, so kommuniziert, also ist es "offiziell". Sozusagen "Code Red" fuer Odessa und Moldova.

Putins Staatsdoktrin ist sein jeher die "Befreiung" alle jener, die er zum "russische Kulturkreis" zugehoerig sieht. Und dazu gehoert eben auch Transnistrien. Next step ist dann das Baltikum.
23.04.2022 09:28 Uhr
Nein, sind sie nicht.

Zum einen ist das ganz offiziell und nicht nur Äußerung eines Einzelnen.

Zum anderen steht russisches Militär bereits in Transnistrien, die müssen da nicht mehr extra angreifen.

Aber ich wäre jetzt nicht gerne in Moldawien.
23.04.2022 09:32 Uhr
Keine Ahnung, was im Kopf Putins noch so alles vorgeht. Wichtig ist unser Handeln im Hier und Jetzt und das Ziel muss ein Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen sein. Dazu gehören sowohl eine militärische als auch eine verbale Abrüstung und nicht immer neue Rekordausgaben für Militärhaushalte. Mir macht dieser ideenlose Rüstungswahn Angst und die Unfähigkeit, miteinander zu reden.
23.04.2022 09:33 Uhr
Das ist genau das, was Putin und seine Entourage immer wieder sagen und was einige immer noch nicht wahrhaben wollen.

Es ist nämlich egal, was wir machen. Er hat seine Vorstellungen und setzt die um, egal was wir machen.

Und das Gefasel von wegen "keine Waffen für die Ukraine weil das den Krieg verlängert" führt nur dazu, dass er mehr Kräfte für seinen Feldzug nach Westen hat.

Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 23.04.2022 09:48 Uhr. Frühere Versionen ansehen
23.04.2022 09:34 Uhr
Zitat:


Mir macht dieser ideenlose Rüstungswahn Angst und die Unfähigkeit, miteinander zu reden.



Frag doch mal Macron, Nehammer, Draghi und vdLeyen, wie sie Putins Gesprächsbereitschaft bewerten.

Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 23.04.2022 09:36 Uhr. Frühere Versionen ansehen
23.04.2022 09:58 Uhr
Zitat:
Mir macht dieser ideenlose Rüstungswahn Angst und die Unfähigkeit, miteinander zu reden.

Das kann ich nur zu gut verstehen. Hatte mich doch selber der Illusion hingegeben, nach dem NATO-Angriff 1999 auf Rest-Jugoslawien werde es wenigstens in diesem Jahrtausend keinen Krieg mehr in Europa geben.

Doch aus marxistischer Sicht sollte die Erkenntnis (nicht nur) von Eisenhower über Macht und Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes gewisser Großmächte Dir eigentlich geläufig sein und Dir u.a. klarmachen, daß einflußreiche Gruppen immer wieder neue Waffen verkaufen wollen. Das aber geht viel besser, wenn die bereits Vorhandenen "verbraucht" werden.

Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 23.04.2022 09:59 Uhr. Frühere Versionen ansehen
23.04.2022 10:06 Uhr
Bei der Gelegenheit: Vor Beginn der "militärischen Spezialoperation" der russischen Streikräfte in der Ukraine und auch einige Zeit danach habe ich in diesem Forum Äußerungen getätigt, die durch einen - leider selbstverursachten - Mangel an gewissen Informationen verursacht wurden.

Bitte entschuldigt den Mist, den ich da teilweise geschrieben habe! Ich habe das wirklich geglaubt, weil ich es nicht besser wusste.
23.04.2022 10:35 Uhr
Zitat:
Das aber geht viel besser, wenn die bereits Vorhandenen "verbraucht" werden.

Gespräch in Putins Datscha
"Nun, Wladimir Wladimirowitsch, wie gefällt Dir diese neue Rakete, mit der Du mit den amerikanischen Imperialisten gleichziehen kannst?"
"Die ist super, aber Du weißt doch, ich habe nicht das Geld ..."
"Ach Wladi, wir sind doch Freunde. Du musst eh erst die alten Raketen loswerden damit Du Platz für die neuen hast. Wie wär's, Du machst meinen Bruder für zehn Jahre zum Gouverneur im Donbas und ich lasse Dir die neuen Raketen mit 50% Rabatt?"
"Hmmm"
An dieser Stelle wurde leider unsere Wanze entdeckt. Über den weiteren Verlauf des Gesprächs kann man also nur spekulieren.
23.04.2022 10:43 Uhr
Zitat:


Gespräch in Putins Datscha



War HC Strache auch dort?
23.04.2022 10:45 Uhr
Der Krieg in der Ukraine ist schon jetzt für Russland ein diplomatisches, wirtschaftliches und militärisches Desaster und es wird sicherlich Zeit vergehen, bis man sich in Moskau davon herholt hat.
Dennoch ist der Nationalismus und der damit verbundene Expansionismus wohl notwendig für die politische Legitimität der politischen Führung, weswegen zukünftige Kriege sehr wahrscheinlich sind.

Ein Angriff auf die NATO ist relativ unwahrscheinlich, solange kein kompletter Idiot im Oval Office sitzt. Leider gibt es hierfür keine Garantie, weswegen es durchaus auch von Bedeutung ist, wie Entschlossen die europäischen Führer gegenüber Putin auftreten. Deutschland, Frankreich als auch Großbritannien könnten zusammen auch Russland vor Aggressionen in Osteuropa abschrecken.
23.04.2022 10:45 Uhr
"War HC Strache auch dort?"

kaum, denn der sammelt ja momentan selbst spenden (fuer sich). eher steinmeier, scholz...
23.04.2022 11:23 Uhr
Da hat der Russe sich ja was vorgenommen. Angesichts des eher zähen bisherigen Verlaufs seiner Kampagne scheint mir das etwas überehrgeizig. Ich würde abraten.
23.04.2022 14:40 Uhr
Zitat:

Ein Angriff auf die NATO ist relativ unwahrscheinlich, solange kein kompletter Idiot im Oval Office sitzt. Leider gibt es hierfür keine Garantie, weswegen es durchaus auch von Bedeutung ist, wie Entschlossen die europäischen Führer gegenüber Putin auftreten. Deutschland, Frankreich als auch Großbritannien könnten zusammen auch Russland vor Aggressionen in Osteuropa abschrecken.

Im Baltikum scheint man das für nicht ganz so unwahrscheinlich zu halten. Die deutsche Wackelposition trägt nicht dazu bei, ihn davon abzuhalten, den Ernstfall mal zu testen. Je nachdem, wie die Wahl in Frankreich auch morgen ausgeht. Und auch der "komplette Idiot" könnte früher wieder im Oval Office sitzen, als uns lieb ist.
23.04.2022 15:32 Uhr
Zitat:
Zitat:

Ein Angriff auf die NATO ist relativ unwahrscheinlich, solange kein kompletter Idiot im Oval Office sitzt. Leider gibt es hierfür keine Garantie, weswegen es durchaus auch von Bedeutung ist, wie Entschlossen die europäischen Führer gegenüber Putin auftreten. Deutschland, Frankreich als auch Großbritannien könnten zusammen auch Russland vor Aggressionen in Osteuropa abschrecken.

Im Baltikum scheint man das für nicht ganz so unwahrscheinlich zu halten. Die deutsche Wackelposition trägt nicht dazu bei, ihn davon abzuhalten, den Ernstfall mal zu testen. Je nachdem, wie die Wahl in Frankreich auch morgen ausgeht. Und auch der "komplette Idiot" könnte früher wieder im Oval Office sitzen, als uns lieb ist.


Was glaubst du, geht es in diesem Krieg um die Aufteilung der Einflusssphären zwischen Russland und den USA? So in etwa hat das ein Ex-Nato-General ausgedrückt.
23.04.2022 15:44 Uhr
Zitat:

Was glaubst du, geht es in diesem Krieg um die Aufteilung der Einflusssphären zwischen Russland und den USA? So in etwa hat das ein Ex-Nato-General ausgedrückt.

Das weiß ich nicht, ich bin da keine Expertin. Ich kann nur nach dem gehen, was Putins Kreise so öffentlich verlautbaren. Dementsprechend geht es vornehmlich um die Wiederherstellung des Einflussbereichs der ehemaligen Sowjetunion - Langzeitziele wie das "neue Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok" nicht ausgeschlossen.

Ich mache mir keinerlei Illusionen mehr, dass es nur um die Ukraine oder gar nur um den Osten der Ukraine geht. Die Pläne mit Moldau bestätigen das nur.

Das muss nicht heißen, dass sie morgen früh in Polen einmarschieren. Sie haben sich jahrelang Zeit gelassen, um einen günstigen Zeitpunkt zu finden, in die Ukraine einzufallen. Im Nachhinein ist das ziemlich offensichtlich.

Das Baltikum ist besonders verletzlich. Die Szenarien, unter denen er einen Angriff wagen könnte, sind nicht so abwegig. Le Pen will Frankreich aus der Nato führen und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie die Wahl morgen gewinnt. Zwar derzeit nicht wahrscheinlich, aber das dachte man auch vor Trump und Brexit. Und was Trump angeht, auch der wollte die USA aus der Nato führen. Auch dessen Wiederwahl in zwei Jahren ist nicht ausgeschlossen. Mir ist zwar unverständlich, warum das so ist, aber er scheint immer noch seine Partei weitgehend im Griff zu haben.

Also man denke sich ein Szenario, in dem Frankreich und die USA sich von der Nato abwenden. Das muss nichtmal ein formeller Austritt sein, es reicht, wenn sie nicht mehr als verlässliche Partner angesehen werden. Allzuviel ist dann von der Nato nicht mehr übrig. Wie würde sich GB verhalten, als einzige nennenswerte verbleibende Atommacht? Mit einem Deutschland, auf das man sich auch nicht verlassen kann? Es könnte für Russland durchaus attraktiv sein, die Nato anzugreifen.


Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 23.04.2022 15:46 Uhr. Frühere Versionen ansehen
23.04.2022 16:04 Uhr
Das Baltikum ist konventionell eher schwierig zu verteidigen. Von daher ist es für ein imperiales Russland schon eine Überlegung, dort einfach einzumarschieren und darauf zu spekulieren, dass der Westen dafür keine Vergeltungswaffen zündet.

Realistisch muss man konstatieren: Die allermeisten US-Präsidenten hätten vermutlich für das Baltikum keinen Atomkrieg geführt! Selbst im Kalten Krieg 1.0 gingen übrigens die meisten Leute, die sich mit dieser Materie professionell beschäftigten davon aus, dass nicht einmal für die viel größere und leistungsstärkere Bundesrepublik ein großer Atomkrieg geführt worden wären, wenn die Sowjetunion glaubwürdig versichern könnte, am Rhein anzuhalten!

Der Preis, den der Westen bei der Zündung von Atomwaffen auch selbst bezahlen müsste, ist so dermaßen hoch, dass die Denke politischer Laien "An NATO-Staaten traut sich kein Aggressor heran, weil das bedeutet Atomkrieg" schlichtweg nicht haltbar ist.

Dass Staaten wie die frühere Bundesrepublik oder heute das Baltikum nicht überrannt wurden, hat damit zu tun, dass der Aggressor auch glaubwürdige Vergeltungen unterhalb eines Atomkrieges zu befürchten hätte, die ihn zumindest bis heute ebenfalls abschreckten! Diese Rolle übernahmen im Kalten Krieg 1.0 erst einmal die Bundeswehr selbst, die alleine für den Schutz der BRD zuständig war und auch dann gekämpft hätte, wenn der Rest der NATO keine Soldaten "für die ehemaligen Nazis" geopfert hätte.
Angenommen, die wirtschaftlich erfolgreiche BRD hätte sich komplett demilitarisiert, hätte die Sowjetunion durchaus darauf spekulieren können, dass der Rest der NATO seine Söhne nicht für die BRD opfern will und das industrielle Potential Westdeutschlands relativ kampflos der SU in die Hände fällt.

Dieser spieltheoretische Mechanismus war allen Seiten bekannt. Deswegen waren die westlichen Alliierten daran interessiert, dass sich die BRD durchaus glaubwürdig selbst verteidigen kann. Während das Interesse der Sowjets darin lag, in Westdeutschland eine pazifistische Bewegung zu etablieren. Je weniger kampfbereit die Bundesrepublik selbst war, desto wahrscheinlicher wäre es, dass ein begrenzter sowjetischer Erstschlag nach Westen tatsächlich zu einem Erfolg führt. Die pazifistische Szene in Westdeutschland bestand übrigens in ihren Eliten durchaus aus Leuten, denen dieser Mechanismus bekannt war und die eigentlich nur den Krieg mit einem sowjetischen Gewinner wollten. Der Pazifismus war hier reine Camouflage.

Das Baltikum wird heute durch einen etwas anderen Mechanismus geschützt: Es ist eigentlich nicht so besonders wertvoll.
Die eigenen Truppen der baltischen Staaten wären relativ schwach, mit denen würde Russland fertig werden. Die NATO-Kontingente im Baltikum haben auch nur eine rein symbolische Stärke. Sie dienen eher der psychologischen Beruhigung der Balten. Eine russische Invasion könnten sie gar nicht aufhalten und ob sie am Tag X überhaupt kämpfen würden? Für die Kontingente der Bundeswehr kann dies klar verneint werden, auch für andere NATO-Nationen ist das eher ausgeschlossen.

Ein Risiko hätte für Russland darin bestanden, wenn es keinen schnellen Sieg erringt. Je länger ein Krieg dauert, desto schwerer ist sein Ausgang kalkulierbar. Außerdem wird jeder Krieg der länger dauert, ökonomisch entschieden. Hier liegt das große Risiko für Russland: Es kann aus eigener Kraft keinen längerfristigen Krieg gegen den Westen führen, seine Wirtschaftskraft gibt das nicht her. Schon der 2. Weltkrieg war aus russischer Sicht nur gewinnbar, weil die Industrieproduktion der USA auf sowjetischer Seite in die Waagschale geworfen wurde.

Die russische Taktik in einem neuen Konflikt kann also nur aus schnellen Blitzkriegen bestehen: Man eröffnet die Feindseligkeiten, besetzt ein Stück Land und hofft dann darauf, dass irgendein Steinmeier sagt "Wir müssen den Konflikt so schnell wie möglich einfrieren und einen gesichtswahrenden Frieden für alle aushandeln". Sprich: Was Russland in einigen Tagen oder Wochen einnimmt, kann es auch behalten, ohne einen längeren Konflikt zu riskieren. Der Westen empört sich vor den Kulissen, geht aber hinter den Kulissen sofort wieder zur Tagesordnung über. Hofierung russischer Lobbyisten inklusive. Wie 2014 bei der Krim und in der Ostukraine tatsächlich praktiziert, der insbesondere Deutschland sogar eine massiv vertiefte Partnerschaft mit dem Aggressor folgen ließ!

Die Lebensversicherung des Baltikums war es, dass Russland zumindest bisher geglaubt hat, dass ein Angriff auf das Baltikum mindestens zu einem dauerhaften Abriss der wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa führen würde. Und diese brauchte Russland schon alleine um seine Armee aufzurüsten. Ohne deutsche Ersatzteile steht nämlich die komplette russische Wehrindustrie still.

Dieser langfristige Abbruch der ökonomischen Beziehungen zu Russland ist das Damoklesschwert, das über jeder russischen Aggression nach Westen hängt.

Wenn es keine Sanktionen gegen Russland gibt oder diese nach einer Anstandspause wieder normalisierten Beziehungen weichen, bedeutet dies prinzipiell ein grünes Licht für weitere Aggressionen. Wie gesagt: Ohne Rüstungsimporte aus Deutschland steht mittelfristig die gesamte russische Armee still (die Waffenschmieden Russlands haben derzeit übrigens tatsächlich die Produktion komplett eingestellt weil notwendige Komponenten fehlen).

Das strategische Hauptziel einer jeden russischen Aggression ist Mitteleuropa, namentlich Deutschland. Gibt man in Moskau dieses Ziel auf, ergeben alle Konfliktherde Russlands schlagartig gar keinen Sinn mehr.
Jeder Vormarsch Russlands im Westen baut darauf auf, dass man den Konflikt wieder einfrieren kann um die Handelsbeziehungen zu normalisieren, dabei aber weniger diplomatisch preisgibt, als man zuvor erobert hat. Das Spiel geht prinzipiell so lange, bis wenigstens ein Blitzkrieg zum Rhein möglich ist. Es lässt sich auf das Baltikum ebenso anwenden, wie auf Polen oder die Ukraine.

23.04.2022 16:26 Uhr
Zitat:
Das weiß ich nicht, ich bin da keine Expertin. Ich kann nur nach dem gehen, was Putins Kreise so öffentlich verlautbaren. Dementsprechend geht es vornehmlich um die Wiederherstellung des Einflussbereichs der ehemaligen Sowjetunion


Ich denke, dass das Ziel "Einflussbereich der ehemaligen Sowjetunion" im Westen völlig überschätzt wird.

Der Einflussbereich der ehemaligen Sowjetunion war ein Produkt des Zufalls. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum die damaligen Grenzen der Einflußsphären für Russland wichtiger wären als andere.

Man kann das vielleicht auch ganz pragmatisch mit unserer Sicht auf andere Weltregionen vergleichen:
Auch wir haben Interessen in Afrika. Wirtschaftliche und auch moralische Interessen, wie diese auch immer aussehen, die müssen ja gar nicht aggressiv kolonialistisch sein. Aber wir wollen gerne Rohstoffe aus Afrika kaufen und haben auch ein moralisches Interesse daran, dass Afrika nicht zum schwarzen Nordkorea wird. So viel mal als ganz grob umrissenen Konsens darüber, dass wir durchaus Interessen in Afrika haben.
Interessen sind dabei nicht zwangsweise böse. Wir haben beispielsweise ein moralisches Interesse daran, dass die Afrikaner nicht verhungern.
Insofern können wir uns sicherlich auf einen nationalen Konsens einigen der besagt: Auch Deutschland hat irgendwelche Interessen in Afrika, obwohl es ein ferner Kontinent ist.


Diese Interessen setzen wir selten militärisch durch, meistens mit Entwicklungshilfe und "soft power". In manchen Ländern haben wir dadurch mehr Einfluss, in anderen weniger.

Auch wir haben eine historische Vergangenheit in Afrika: Togo, Namibia, Tansania etc. waren mal deutsch.

Was bedeutsam ist: Unsere heutigen Interessensgebiete in Afrika haben eigentlich gar nichts mit den historischen Einflußsphären zu tun. Es gibt für uns keinen Grund, eine Mädchenschule im Kongo (der niemals deutsch war) zu schließen um damit eine Schule in unserer ex-Kolonie Togo zu eröffnen. Wir werden dort aktiv, wo entweder die wirtschaftlichen oder die moralischen Interessen (oder ein Kompromiss aus beidem) am besten bedient werden. Ob das im ehemals deutschen Togo oder im niemals deutschen Niger ist, interessiert eigentlich überhaupt niemanden in Deutschland. Warum auch?

Jetzt sieht die russische Sicht auf Europa durchaus ähnlich aus. Klar, die russischen Interessen bauen nicht auf unserer Moral auf. Aber: Es ist den Russen eigentlich völlig wurscht, ob irgendein Gebiet mal zur sowjetischen Einflußzone gehörte oder nicht. Das gilt für die einfachen Leute genauso wie für die Eliten.
Es geht eigentlich um die Interessen an sich.
Die Moral der russischen Eliten ist dabei deutlich primitiver entwickelt als bei uns. Es geht nur um die Macht zum Selbstzweck. Ob man diese aus einem Gebiet bezieht, das mal sowjetisch geprägt war oder nicht, ist dabei wurscht.
Wenn Russland einen Teil Deutschlands besetzen kann, würde man Bayern genauso gerne nehmen, wie Ostfriesland oder Sachsen. Das Gerede von ehemals sowjetischen Gebieten bietet sich nur an, weil diese halt mal östlich des heutigen Russlands liegen. Und es bietet sich einfach diplomatisch an zu sagen "Hey, ihr braucht nicht für die Ukraine kämpfen, wir wollen höchstens noch das Baltikum, Finnland oder Polen haben, aber nicht Berlin oder Paris. Seid also Egoisten und normalisiert die Beziehungen zu uns".

Es gibt aber überhaupt keinen Anlass zu der Überlegung, dass ein imperialer Staat nicht auch Berlin oder Paris oder London oder Canberra einsacken würde, wenn er einfach nur die Gelegenheit dazu hätte. Ein imperialer Staat schnappt sich einfach wahllos alles, was seine Macht mehren würde. Und dass sich Russland dementsprechend als imperial sieht, wird ja ganz unumwunden zugegeben.
23.04.2022 16:38 Uhr
@Widu
Wie gesagt, ich gehe nur von dem aus, was öffentlich aus Putins Umfeld zu lesen ist, und auch aus seinen eigenen Schriften bzw. Reden hervorgeht. U.a. hielt er den Untergang der Sowjetunion für eine historische Katastrophe. Im Grunde spricht er den früheren UdSSR-Staaten die Existenzberechtigung ab. Des Weiteren sind öfter romantisierende Vorstellungen von einem russischen Großreich zu finden.

Ich glaube deshalb nicht, dass es ihm völlig wurscht ist, wo jetzt die Grenzen künftig verlaufen. Ich halte es für möglich und sogar wahrscheinlich, dass er sich als der Wiederhersteller der Sowjetunion ein historisches Denkmal setzen will - insbesondere dann, wenn die Vermutungen über eine schwere Erkrankung zutreffen sollten. Und dass das für ihn wichtiger ist als wirtschaftliche Interessen (die er mit diesem Krieg ohnehin mit Füßen tritt). Deshalb glaube ich, dass die Wiederherstellung der Sowjetunion für ihn ein Wunschziel ist - egal wie sie nun ursprünglich entstanden ist. Natürlich ist das nur mein Eindruck, der auch völlig daneben liegen kann.

Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 23.04.2022 16:42 Uhr. Frühere Versionen ansehen
23.04.2022 16:51 Uhr
Das Problem an dieser Konstruktion ist, dass die Sowjetunion ja selber ein imperialer Staat war. So wie das deutsche Kolonialreich imperial gewesen ist.

Das deutsche Kolonialreich hat sich in Afrika geschnappt, was es zufällig bekommen konnte. Es hätte auch statt Togo Marokko genommen.
Natürlich, wenn man auf nationale Glorie zu versessen ist, kann man den Untergang des deutschen Kolonialreichs 1918 als Katastrophe sehen. Ändert aber auch in diesem Fall nichts daran, dass ein heutiges Deutschland, das sich in den Fußstapfen des Kolonialreiches sähe, ebenso nicht auf Togo und Namibia fixieren würde, sondern auch stattdessen Nigeria schnappen würde, wo es einfach wertvollere Rohstoffe gibt. Aber klar, wenn zufällig die alte Kolonie Togo in Reichweite wäre, würde man halt diese schnappen und dabei noch etwas historisches Brimbamborium auspacken.

Die Sowjetunion war vollkommen gleich gelagert. Die schnappten sich in Europa einfach das, was sie kriegen konnten und so die Macht mehrte.

Es gibt keinerlei glaubwürdige Moral, aus der eine glaubwürdige Selbstbeschränkung auf ex-sowjetische Gebiete hervorgehen würde.
Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum ehemals sowjetische oder zaristische Grenzen für Putin dermaßen wichtig sein sollten, dass er eine mögliche Beute außerhalb dieser Grenzen verschmähen würde.

Betrachten wir Putins Handeln übrigens aus einem imperialen Blickwinkel, dann ist es gar nicht so irrational: Bisher konnte er sein Reich problemlos Richtung Westen ausdehnen, ohne gestörte Handelsbeziehungen zu befürchten. Ganz im Gegenteil: Je aggressiver seine Außenpolitik war, desto mehr kam man ihm entgegen. Lehrbuchmäßig zu sehen an der Krim-Annexion 2014 nach der die Rüstungsexporte nach Russland genauso explodierten, wie der Bezug russischen Erdgases.

Aus ökonomischer Sicht ist Putins Außenpolitik übrigens gar nicht so wahnsinnig, wenn man von einer imperialen Agenda ausgeht. Ökonomisch wäre es nur Wahnsinn, sich auf die ehemalige Sowjetunion zu beschränken. Betrachtet man das gesamte Mitteleuropa als die lohnende aber wehrlose Beute, dann hat er bisher zu einem sehr niedrigen Preis erhebliche Etappenziele erreicht.
23.04.2022 16:54 Uhr
Zitat:
Es gibt keinerlei glaubwürdige Moral, aus der eine glaubwürdige Selbstbeschränkung auf ex-sowjetische Gebiete hervorgehen würde.

Von einer Selbstbeschränkung auf ex-sowjetische Gebiete habe ich auch nirgendwo etwas geschrieben. Ich habe ja weiter oben ausdrücklich geschrieben, Langzeitziele wie das "neue Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok" nicht ausgeschlossen. Und auch früher schon mehrmals geschrieben, dass ich die Gefahr für sehr real halte, dass er vorhat, weiter durch Europa durchzumarschieren.
  GRUENE   IDL   SII, KSP   FPi
  CKP, KDP   UNION   NIP   PsA
  LPP   Volk, Sonstige
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