Thema: [RL] pro & contra: SchweigepflichtNeuer Beitrag
Von: Nuit Le Petit Prince 24.06.2015 23:55 Uhr
03.04.2015

pro & contra: Aufheben der ärztlichen Schweigepflicht für besonders exponierte Berufe?



Gedanken für ein Überdenken der bisherigen Regelung der ärztlichen Schweigepflicht
Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht für bestimmte Berufe. Als ich das das erste Mal hörte, ging mein Puls in die Höhe. Wie können die nur?!? Aber drei Becher Kaffee später - warum eigentlich nicht? Sicher, es wäre ein radikaler Schritt. Aber warum eigentlich nicht? Wir müssen regelmäßig zum Zahnarzt, sogar ich mit meinen Dritten, um im Fall der Fälle von der Krankenkasse Zuzahlungen zu bekommen. Bonus-Systeme. Schön.

Nun hockt sich ein Luftfahrzeugführer, der allen meinen Bemerkungen zuwider wohl doch unter Suizid-Gefahr stand, in seinen Jet und steuert den – vermutlich - bei erster sich bietender Gelegenheit in einen Berg. Es müssen schreckliche Bilder sein, die die Bergungskräfte dort ertragen müssen.

Wäre das vermeidbar gewesen? Bei der Bundeswehr zum Beispiel wird ein "normaler" Truppenarztbesuch eines Piloteurs sofort der zuständigen Fliegerärztin bzw. dem Fliegerarzt mitgeteilt. Krankschreibungen, wie es sie nun gegeben haben soll, wären also unmittelbar dem Zuständigen übermittelt worden. Wäre alleine dadurch ein solches Unglück vermeidbar gewesen? Es kann zwar niemand mit einem eindeutigen "Ja" antworten, aber eben auch niemand mit einem eindeutigen "Nein!".

Ganz klar, ein solches partielles Aufgeben der ärztlichen Schweigepflicht darf nicht jeden Beruf treffen. Aber ist der individuelle Schutz eines Einzelnen wirklich wichtiger als der Schutz Vieler vor einer vermutlich vermeidbaren Dummheit, die mannigfaches Leben kostet? Wenn wir den Schutz der Interessen Einzelner für eine einzelne Branche der Energiegewinnung für einen umstrittenen Tagebau aufgeben, warum dann nicht auch für den Schutz menschlichen Lebens?

Selbstverständlich muß auch Vorsorge für den Betroffenen getroffen werden. Seine Erkrankung darf nicht zu einem automatischen endgültigen Aus seiner beruflichen Karriere führen. Grundgütiger, hat nicht jeder von uns einmal eine mehr oder weniger ernst zu nehmende Phase des "ich mag nicht mehr" durchgemacht? Wenn sich das aber verfestigt, wenn diese Gedanken zu einer ernsthaften Belastung, zu einer Krankheit werden, dann besteht dringender Hilfebedarf.

Daher kann, nein, darf ein partielles Aufgeben der ärztlichen Schweigepflicht nur Hand in Hand gehen mit einer gesteigerten Akzeptanz der Krankheit "Depression" in der Bevölkerung. Der Betroffene soll nicht auf der Straße liegen. Ihm soll geholfen werden. Wenn er dann weiß, die Ausübung seines Berufes ist nicht zwangsläufig gefährdet, dann sinkt auch die Hemmschwelle, die Angst derjenigen, zum Arzt zu gehen. Und: Eine behandelte Erkrankung darf nicht zu einem Makel führen. Denn wenn es danach ginge, dann dürfte, bei konsequenter Weiterführung, kein Mitbürger je seinen Führerschein wieder zurückbekommen, wenn er ihn einmal wegen Alkohol- und Drogenmissbrauchs hat abgeben müssen. DEN Aufschrei aber möcht ich hören. Nicht vergleichbar? Naja, ich kenne Fälle, in denen Betrunkene ihr Auto über die Mittelleitplanke in den Gegenverkehr...

Daher bin ich in der Tat für ein umfassendes Umdenken. Ein Umdenken, was Sicherheit für die Erkrankten zur Folge hat. Ein Umdenken, das auch dazu führt, daß sich Fluggäste noch beruhigter in ein Flugzeug setzen können. Absolute Sicherheit, das ist klar, die gibt es nirgends. Aber wenn durch dieses Umdenken auch nur EIN einziges Leben retten lassen kann, dann war es verdammt noch eines richtig.

ZeitZeichen
Für die LPP



Gedankliche Exkursion gegen die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht
Dieser Tage grassiert die Forderung nach Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht. Dies mag auf den ersten Blick auch sinnvoll sein angesichts der Flugzeugkatastrophe, der öffentlich zur Schau getragenen Trauer, der Mutmaßungen über Zusammenhänge und Hintergründe. Selbst Menschen, die gemeinhin nicht gerade für ihr Mitgefühl und ihre Solidarität gegenüber ihren Mitmenschen auffallen, zielen auf diese Erscheinung ab und wollen auch gerne in einem anderen Licht erscheinen. Es sei ihnen gegönnt, sofern sie dem Schein auch den Selbstanspruch folgen lassen.

Doch schauen wir genauer: Dass diese Forderung nach einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht zunächst logisch klingt, weist bereits darauf hin, dass viele Menschen gar nicht wissen, was die ärztliche Schweigepflicht ist, was sie beinhaltet und wo die ärztliche Schweigepflicht bereits jetzt nicht greift. Anders: Wann sie ihrem Arzt Stillschweigen abverlangen können und wann dieser an die ärztliche Schweigepflicht nicht gebunden ist.

Derzeit gibt es folgende Ausnahmen für die ärztliche Schweigepflicht: Eigengefährdung und Fremdgefährdung. Das meint beispielsweise, dass mein Arzt durchaus berechtigt ist, eine Krankheit zu melden, sofern akute Ansteckungsgefahr besteht oder der Patient beispielsweise selbstmordgefährdet ist. Diese beiden Ausnahmen gibt es bereits. Insofern scheint eine Forderung nach einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht als blinder Aktionismus.

Doch bei allem unterstellten guten Willen und Wollen ist eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht weitaus mehr als ein nutzloses Instrument: Es ist ein weiterer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Bürger. Es ist wiederum der Versuch, die Unwissenheit und Angst der Bevölkerung zu nutzen, um deren Freiheit einzuschränken – ob der nun vom einzelnen Akteur bewusst oder unbewusst ausgeführt wird.

Welch mächtige Hebel Unwissenheit und Angst für die Machthaber sein können, lässt sich beispielsweise daran ablesen, wie viele Gesetze in den letzten Jahren verabschiedet wurden, obwohl sie am befürchteten Szenario rein gar nichts zu ändern imstande gewesen wären (Stichwort: Terrorangst). Es lässt sich auch daran ableiten wie viele Menschen sich genötigt sehen, gegen irreale Ängste aktiv zu werden, indem sie mehr Angst vor vermeintlichen Bedrohungen "am anderen Ende der Welt" haben, über deren Existenz sie allenfalls durch die Medien informiert wurden, als vor den tatsächlichen Bedrohungen "an der nächsten Straßenecke". Wie viele Menschen haben Angst vor Islamisten und fühlen sich zeitgleich genötigt, das Problemgefüge aus gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im tatsächlichen Lebensalltag zu verharmlosen!

Damit möchte ich diesen Text beenden: Zum einen weil ich den Raum für eigene Gedankengänge lassen will; zum anderen weil hierin bereits jetzt genügend Diskussionsstoff stecken dürfte.

Reim-und-Klang
Für die LPP