Chat-Transkript vom 07.05.2009

Oswald Metzger, Publizist

Thema: Die verlogene Gesellschaft

: Moderator hat den Raum betreten
Moderator: test
Moderator: Es ist 18.00 Uhr. Wir warten allerdings noch auf unseren Gast.
Moderator: Für die Doler vorab: Moderator ist heute abend Lasse (12345).
Moderator: Ich versuche gerade, das zu klären. Zugesagt hatte Herr Metzger.
Moderator: @staroffice, du kannst bereits Fragen stellen. ich merke die dann vor.
Moderator: Frage von Ticho an Oswald Metzger:    "Zur Information an alle: das Büro von Herrn Metzger hat mir zugesagt. Ich hoffe nur das nichts dazwischen gekommen ist. Eine Absage gab es nicht."
Moderator: Frage von Ticho an Oswald Metzger:    "Sollte wirklich etwas dazwischengekommen sein werden wir aber schnellstmöglich einen Nachfolgetermin abklären."
Moderator: Schienbar ist ihm etwas dazwischengekommen. Wir werden bis 18.15 warten. Sollte sich bis dahin nichts ergeben, wird Ticho sich um einen Nachfolgetermin bemühen.
Moderator: Er ist leider auch telefonisch nicht erreichbar.
: Oswald_Metzger hat den Raum betreten
Moderator: Hallo
Moderator: Schön, dass sie es noch geschafft haben.
Oswald_Metzger: Guten Abend, leider hat mein Passwortzugang nicht auf Anhieb funktioniert. Aber wir konnten das klären. Danke für das Verständnis.
Moderator: Willkommen zum Chat bei dol2day. Ich bin Lasse und werde heute den Chat moderieren. Ich begrüße unseren Gast und alle mitlesenden Doler recht herzlich.
Moderator: Heute zu Gast ist Oswald Metzger, (Ex-)Politiker und Publizist, zum Thema: Die verlogene Gesellschaft. Herr Metzger war in den 70er Jahren SPD-Mitglied, dann 20 Jahre ein führender Kopf bei den Grünen, wo er 2007 austrat. Seit 2008 ist er CDU-Mitglied. In seinem aktuellen Buch „Die verlogene Gesellschaft“ kritisiert er die demokratische Wirklichkeit in Deutschland und plädiert für mehr Verantwortungsbewusstsein.
Moderator: Herr Metzger, stellen sie sich doch bitte erst einmal persönlich kurz vor.
Oswald_Metzger: Ich bin ein politischer Überzeugungstäter, der zwar in verschiedenen Parteien engagiert war, aber doch seit vielen Jahren für eine nachhaltige Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik kämpft. Zur Zeit bin ich freiberuflich tätig - als Publizist und Politikberater.
Moderator: Herr Metzger, eine provokative Frage zum Anfang: Haben sie sich bei ihrem Buch „Die verlogene Gesellschaft“ den Frust von der Seele geschrieben und so mit der Politik in Deutschland abgerechnet?
Oswald_Metzger: Das sehe ich nicht so. Das Buch ist trotz des provokanten Titels keine Abrechnung mit dem Politikbetrieb, sondern der Versuch, auch dem ach so mündigen Bürger den Spiegel vorzuhalten. Meine These lautet: Die Bürger wollen häufig in Wahlkämpfen belogen werden, statt Wahrhaftigkeit zu belohnen, wählen sie die Parteien, die Versprechungsorgien in die Welt posaunen.
Moderator: Frage von staroffice an Oswald Metzger:    "Herr Metzger. Das Thema dieses Chats lautet "die verlogene Gesellschaft". Inwiefern fühlen Sie sich als Ex-Politiker und heutiger Publizist als ein integraler Bestandteil der von Ihnen festgestellten Verlogenheit? Oder können Sie für sich in Anspruch nehmen, über den Dingen zu stehen und alles aus der höheren Warte einer strahlenden Ehrlichkeit zu beurteilen?"
Oswald_Metzger: Natürlich stehe ich nicht über den Dingen. Aber ich nehme für mich in Anspruch, unangenehme Wahrheiten auch als aktiver Politiker ausgesprochen zu haben: den Kampf gegen die Staatsverschuldung etwa oder mein Plädoyer gegen eine permanente Erhöhung staatlicher Transferleistungen, für die viele Millionen Bürger Steuern und Abgaben zahlen müssen - und selbst kaum über die Runden kommen.
Moderator: Frage von François an Oswald Metzger:    "Herr Metzger, man könnte ja mal plakativ in Anlehnung an Ihr heutiges Thema zurückfragen, inwieweit die politische Landschaft verlogen und eben nicht der Bürger ist?"
Oswald_Metzger: Außerdem habe ich einen Wahrhaftigkeitstest zumindest bestanden: Als ich die Grünen verlassen habe, habe ich mein Landtagsmandat in Stuttgart niedergelegt. Sie werden kaum Parteiwechsler finden, die auf das entsprechende Einkommen freiwillig verzichten.
Oswald_Metzger: Die Verlogenheit des Politikbetriebs steht für mich außer Frage. Opportunismus und Beliebigkeit sind Wesensmerkmale der meisten heutigen Politiker. Wenn wir uns alllerdings die letzte Bundestagswahl anschauen, kann man doch konstatieren, dass die Wähler auch Schlitzohren sind.
Moderator: Frage von Tochigi an Oswald Metzger:    "Welche Parteien setzen keine Versprechensorgien in die Welt?"
Oswald_Metzger: Die Union hatte eine Mehrwertsteuererhöhung vor den Wahlen versprochen, die SPD kämpfte massiv dagegen. In der Großen Koalition machen die Sozialdemokraten dann aus 2% Mehrwertsteuererhöhung 3%. Wissen die Wähler der SPD das noch?
Moderator: Frage von Richard B. an Oswald Metzger:    "Zeigen Sie da nicht ein eigenartiges Politikverständnis? Die Parteien haben keinen volkspädagogischen Auftrag sondern repräsentieren den Wählerwillen. Das würde doch bedeuten, daß es nicht verwerflich, sondern geradezu die Pflicht der Parteien ist, das zu tun, was die Wähler/innen wünschen."
Oswald_Metzger: Zur Zeit erleben wir den kollektiven Wahnsinn. Wir jagen die Staatsverschuldung hoch, schließen Rentenkürzungen aus, versprechen mehr für Bildung und Transfer, machen Steuersenkungsversprechungen. Von FDP bis Linkspartei sind alle im gleichen Boot - mit unterschiedlichen frohen Botschaften.
Moderator: Frage von alzibiades an Oswald Metzger:    "Sehr geehrter Herr Metzger, Sie sind als langjähriges Grünen-Mitglied sicher sehr im Umweltschutzbereich engagiert,; in dieser Frage haben sich die Grünen oft gerade mit der CSU gestritten. Verlogenheit könnten Ihre ehemaligen Parteifreunde Ihnen vorwerfen, da Sie jetzt quasi beim umweltpolitischen Gegner mitmachen. Wie sehen Sie die Umweltpolitik Ihrer "neuen Schwesterpartei" CSU?"
Oswald_Metzger: Dabei müßte jeder wissen, dass die gigantischen Bankenrettungs- und Konjunkturprogramme schon bald Steuern und Abgaben nach oben treiben und die Konsumenten höhere Inflationtsraten erleben werden.
Oswald_Metzger: Um ein besonders drastisches Öko-Thema anzusprechen: Ich bin zwar Mitglied der CDU, aber nach wie vor für den Atomausstieg und gegen die Verlängerung der Laufzeiten der AKWs. Nur weil ich Mitglied einer Partei bin, muß ich ja nicht in allen Positionen mit der Mehrheit einig gehen.
Moderator: Frage von François an Oswald Metzger:    "Der typische Ablauf ist doch: Partei A verspricht irgendwas, kommt dummerweise in die Regierung, kann das Versprechen nicht halten und Partei B schreit nach einem Untersuchungsausschuss. Sie sprechen die 3 % der SPD an - ich nehme als Gegenstück das Beispiel von Kohl der 1990 Steuererhöhungen kategorisch ausschloss. Wie glaubwürdig ist es, wenn Sie - als Teil der etablierten politischen Lanschaft - das jetzt anprangern?"
Oswald_Metzger: Was will das Volk? Gute Frage, wenn ich mir das Infotainment in den medien anschauen oder den Blick in die Untiefen der Demoskopie. Politische Parteien sollten für nachhaltige Politikkonzepte kämpfen, in eine argumentative Debatte mit der Bevölkerung treten - und vor allem nicht dem Irrtum erliegen, dass man dann gute Politik macht, wenn man dem Volk nach dem Mund redet, sondern dem Volk aufs Maul schaut.
Moderator: Frage von Richard B. an Oswald Metzger:    "Machen Sie es doch bitte mal konkret: Sie sind Politikberater vor allem bei arbeitgebernahen Einrichtungen wie die arbeitgeberabhängige INSM und dem arbeitgebernahen Konvent für Deutschland. Gehört es nicht auch zur Ehrlichkeit, seine Lobbytätigkeiten zu nennen?"
Oswald_Metzger: Ich habe die Versprechenspolitik auch früher attackiert. Wie oft bin ich bei den Grünen angeeckt, als ich für eine solide Finanzierung neuer Leistungsversprechen gestritten habe. Für mich persönlich nehme ich in Anspruch, in der Frage solider Haushalts- und Finanzpolitik nicht gewackelt zu haben.
Moderator: Frage von François an Oswald Metzger:    "Ich kann leider auf die schnelle keinen Gegebeleg finden, dass sie evtl. doch gewackelt haben - Aber es aus diesem Blickwinkel richtig gewesen, zur CDU zu wechseln, die in sehr vielen Bundesländern und auch im Bund regiert und so eine viel größere Chance hat, Wahlversprechen zu brechen, als es z.B. Grüne oder Linkspartei hätten? (Sie sind ja nicht nur die Privat-Person Oswald Metzger sondern auch das CDU-Mitglied und wären fast sicher als CDU-MdB im nächsten Bundestag gelandet.)?"
Oswald_Metzger: Die Frage der Lobbyarbeit gibt mir Gelegenheit, auch in dieser Debatte darauf hinzuweisen, dass beide Institutionen auf meiner Website benannt werden. Im Konvent für Deutschland arbeite ich seit 6 Jahren ehrenamtlich. Nur die Reisekosten für die quartalsweisen Sitzungen werden bezahlt. Für die INSM bin ich sporadisch tätig, zum halben Honorarsatz. Wenn ich in den vergangenen sechs Jahren 2% meiner Jahresumsätze als Publizist mit der INSM generiert habe, ist es eher übertrieben. Das Argument höre ich oft, aber es läuft ins Leere.
Oswald_Metzger: Ich versuche ja gerade in der Volkspartei CDU, den marktwirtschaftlichen Flügel dadurch zu stärken, dass ich an die alte Mahnung eines Ludwig Erhard erinnere: "Alle Wohltaten, die Politiker dem Volk versprechen, müssen die Bürger zunächst und vor allem erst selbst erwirtschaften." Die Rolle des Mahners für wirtschaftliche Vernunft brauche ich leider auch in der Union nicht abzulegen.
Moderator: Frage von NightHorse an Oswald Metzger:    "Wäre es nicht das beste, für den Technologiestandort Deutschland, mehr Gelder in die Bildung zu stecken? Auch Erwachsenenbildung. Um die Wettbewerbsfähigkeit auch abseits des Maschienenbaus zu stärken? Da bekanntermassen mit Technologie viel mehr Arbeitsplätze gesichert werden und so auch die Binnenkonjunktur gestärkt wird?"
Oswald_Metzger: Keine Frage, die Bildung braucht mehr Geld. Das Wissen in den Köpfen möglichst vieler Menschen - unabhängig von ihrer sozialen Herkunft - ist das Kapital, aus dem künftiger wirtschaftlicher Wohlstand erwächst. Doch nicht nur Geld ist hier gefragt, sondern vernünftige Ganztagesschulen mit integrativen Förderkonzepten für Kinder aus Unterschichtsfamilien. Und hier passiert immer noch zu wenig. Wir belassen lieber die Lehrer im teueren Beamtenstatus, als uns um vernünftige Bildungskonzepte zu mühen.
Moderator: Frage von Tochigi an Oswald Metzger:    "Was verbindet Sie noch mit den Grünen? Und wie sehen Sie deren Zukunft - auch in Bezug auf Koalitionschancen mit der CDU?"
Oswald_Metzger: Ich bin zwar ausgetreten, weil ich die sozial- und wirtschaftspolitischen Konzepte nicht mehr mittragen kann. Trotzdem verdamme ich als Konvertit meine Langjährige Partei nicht. Die Grünen hätten eine substanzielle Aufgabe als ökologische Partei, die Frage der Nachhaltigkeit in allen Politikfelder durchzubuchstabieren - im Interesse der jungen Generation. Ich habe deshalb auch keine Probleme, auch heute noch Schwarz-Grün oder Jamaika-Konstellation für vernünftig zu halten. Allerdings sind die Grünen programmatisch heute weiter weg von Union und FDP als noch vor vier oder fünf Jahren. Trotzdem finde ich die Arbeit der schwarz-grünen Koalition in Hamburg erfreulich konstruktiv.
Moderator: Frage von alzibiades an Oswald Metzger:    "Sehen Sie sich in Ihrer wirtschaftspolitischen RIchtung d´accord mit der Haltung und den Ideen von Friedrich Merz, die ja von den Grünen 2003 udn 2004 nur Hohn und Spott ernteten? Stichwort: Steuerkonzept, das nur drei Steuerstufen von 12, 24 und 36 Prozent vorsieht und das Steuerrecht im Wege der Entbürokratisierung radikal vereinfachen sollte. "
Oswald_Metzger: Ich habe zu Grünen Zeiten das Steuerkonzept von Paul Kirchhoff öffentlich gutgeheißen. Friedrich Merz hat auch zu Grünen Zeiten bei mir eine große Wertschätzung genossen. Leider hat ihn die Kanzlerin nicht integrieren können oder wollen. Ich finde es schade, dass Merz das Parlament im Herbst verläßt.
Moderator: Frage von François an Oswald Metzger:    "Was wäre denn Ihr Ansatz für einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise, wenn Sie weiter oben die Ausgabenmentalität in allen Parteien kritisieren?"
Oswald_Metzger: Wir müssen vor allem die Finanzierung der Sozialsysteme vom Faktor Arbeit trennen. In der Krankenversicherung plädiere ich für eine Prämienmodell - statt der lohnbezogenen Beiträge. In der Steuerpolitik ist für mich eine einheitliche Besteuerung aller Einkunftsarten richtig. Es ist ein Unding, dass für Kapitalerträge mit der Abgeltungssteuer fast zwanzig Prozent niedrigere Steuersätze gelten als für Arbeits- und Unternehmereinkommen. Hier wäre die Flat Tax von Kirchhof der strukturell richtige Weg.
Moderator: Frage von François an Oswald Metzger:    "Wie sehen sie die nächste Landesregierung in Baden-Württemberg? Sitzen da dann die Grünen mit der CDU in der Regierung?"
Oswald_Metzger: Allerdings bedeutet das auch: die Pendlerpauschale, die gerade wieder reaktiviert wurde und die steuerfreien Schicht- und Nachtarbeitszuschläge müßten entfallen - zur Gegenfinanzierung. Ausnahmen weg und dafür Senkung der Grenzsteuersätze. Wir erdrosseln heute die leistungsbereitschaft von Millionen Menschen mit einem zu hohen Zugriff des Staates auf den letztverdienten Euro. Das hat fatale Konsequenzen für das Wachstumspotential unserer Volkswirtschaft - und die Zufriedenheit der Menschen.
Oswald_Metzger: Ich hätte mir Schwarz-Grün schon 2006 gut vorstellen können. Damals konnte ich aber aus nächster Nähe beobachten, welche Scheu Teile der Union hatten. Oettinger hätte vor Hamburg als der CDU-Ministerpräsident in die Geschichte eingehen können, der Schwarz-Grün erstmals praktizierte. Was 2011 passiert, will ich heute nicht prognostizieren.
Moderator: Frage von Richard B. an Oswald Metzger:    "Ihnen ist klar, daß vor allem Kapitaleigner von Ihren Vorschlägen profitieren und die Arbeitnehmer diese mit höhren Belastungen durch Streichung der Pendlerpauschale und der Besteuerung von Schicht- und Nachtarbeitszuschlägen bezahlen müssen?"
Oswald_Metzger: Das ist leider ein sehr verbreiteter Irrtum. Die Ersparnisse vieler Arbeitnehmer durch einen niedrigeren Grenzsteuersatz sind größer als die Ersparnisse durch die heutigen Steuerprivilegien. Ein Facharbeiter, ledig, kommt bereits heute ganz schnell auf Grenzsteuersätze von 40% zzgl. Soli. Und dann sind noch die Sozialbeiträge fällig. Wenn vom letzverdienten Euro dann nur 30 bis 38 Cent netto übrig bleiben, kommt auch beim Arbeitnehmer keine Freude auf. Heute ist doch der Faktor Arbeit der Lastesel bei der Finanzierung unserer Gemeinwesens. Die Kapitalbesteuerung dagegen ist deutlich untergewichtet. Das müssen wir ändern. Vergessen Sie bitte auch nicht, dass durch höhere Grundfreibeträge (pro Mitglied einer Familie) die Belastung relativiert wird.
Moderator: Die Zeit geht leider wie immer viel zu schnell vorbei und wir sind bereits am Ende des Chats angekommen. Herr Metzger, ich danke Ihnen recht herzlich für ihr Kommen und vor allem dass Sie hier nach den technischen Problemen noch so viele Fragen beantworten konnten. Wir können Ihnen morgen auch noch ein Chat-Transkript zuschicken. Wenn es Ihnen gefallen hat, empfehlen Sie uns bitte gerne weiter.
Oswald_Metzger: Ich bedanke mich für die lebendige Diskussion, empfehle Ihr Format gerne weiter und bekenne, dass ich in den vergangenen Jahren bereits zwei Mal bei Ihnen gechattet habe. Allen Usern einen schönen Abend und herzliche Grüße.
Moderator: Vielen Dank. Ihnen dann auch noch einen schönen Abend.
: Oswald_Metzger hat den Raum verlassen
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