Chat-Transkript vom 10.11.2011

Johannes Singhammer, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Thema: Präimplantationsdiagnostik

: Johannes_Singhammer hat den Raum betreten
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: Moderator hat den Raum betreten
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Moderator: Hallo Herr Singhammer.
Moderator: Wir haben noch zwei Minuten Zeit, bis der Chat öffentlich zugänglich wird.
Moderator: Hallo und herzlich willkommen zum Chat bei dol2day.
Johannes_Singhammer: Ich begrüße alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Moderator: Heute zu Gast ist Johannes Singhammer, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Moderator: Das Thema heißt "Präimplantationsdiagnostik".
Moderator: Herr Singhammer, der Spiegel nennt die PID eine "Gewissensfrage" an eine Gesellschaft, "die Fruchtwasseruntersuchungen erlaubt, bei der die gleichen Erbkrankheiten geprüft werden wie bei einer PID" - was macht die PID zu einem so politischen Thema?
Johannes_Singhammer: Mit neuen Methoden in der medizinischen Untersuchung, Diagnose und Behandlung stößt die Medizin in Bereiche vor, in denen nicht mehr nur diagnostiziert und geheilt wird. Es werden Fähigkeiten erlangt, Leben zu bewerten und zu gestalten. Mit der PID ist die Auswahl menschlichen Lebens auf Grund schwerwiegender genetischer Erkrankungen möglich. Das führt zu meiner festen Überzeugung zu einer Überforderung von Eltern, Medizin und Politik. Dies stellt einen Paradigmenwechsel dar. Als Politik stehen wir in der gesellschaftlichen Verantwortung, die Bedürfnisse der betroffenen Paare, aber auch die der Eltern behinderter Kinder und Behinderter zu berücksichtigen.
Moderator: Frage von BAnzler an Johannes Singhammer:    "Sehr geehrter Herr Singhammer, ich freue mich sehr, dass der Termin heute geklappt hat. Sie waren meines Wissens ja ein Gegner der jetztigen Regelung. Könnten Sie vielleicht kurz, ich weiß das ist nicht gerade leicht bei einem so komplexen Thema, erläutern, warum aus Ihrer Sicht die jetztige Regelung problematisch ist?"
Johannes_Singhammer: Eine Begrenzung der PID auf wenige Fälle ist rechtlich und praktisch nicht möglich. In allen Ländern, in der die PID, selbst unter strengen Vorgaben, zugelassen wurde, hat sich der Anwendungsbereich stetig ausweitet. Der Gesetzentwurf selbst gibt keinen Indikationskatalog für die PID vor. Die Entscheidung, ob einer PID im Einzelfall vorgenommen werden darf, wird einer Ethikkommission übertragen. Allein dies zeigt die Schwierigkeit der Begrenzung. Das beschlossene Gesetz verstößt überdies gegen das Gendiagnostikgesetz wonach die Untersuchung auf sog. spätmanifestierende Krankheiten, also Krankheuten, die z. B. nach dem 40. Lebensjahr ausbrechen können, wie z. B. Veitstanz oder Chorea Huntington, nicht untersucht werden dürfen. Zudem würde die Zulassung der PID den Gedanken der Selektion wieder in das deutsche Recht einführen. Der Gesetzgeber hat 1995 die embryopathische Indikation abgeschafft, damit ein Abbruch allein aufgrund einer Behinderung oder Erkrankung des Kindes nicht mehr zulässig ist. Soweit in der Praxis gegen die gesetzlichen Vorschriften verstoßen wird und es dennoch Spätabbrüche wegen der Behinderung eines Kindes gibt, darf das nicht Grund zur Einführung einer Auswahlentscheidung vor der Schwangerschaft sein.
Moderator: Frage von Free an Johannes Singhammer:    "Ich vertrete die Piraten bei dol2day. Herr Singhammer, sie haben bei abgeordnetenwatch.de 29 von 30 Fragen beantwortet. Wie stehen Sie persönlich zur Transparenz, die durch neue Medien entsteht und inwieweit wird der Diskurs zur PID in Ihrer Partei mit Hilfe der neuen Medien direkt mit dem Bürger geführt?"
Johannes_Singhammer: Bei der Umsetzung des neuen Gesetzes durch eine Bundesverordnung werden wir eine öffentliche Diskussion führen, ab der sich alle Interessierten beteiligen können. Das verstehe ich unter Transparenz.
Moderator: Frage von BAnzler an Johannes Singhammer:    "Herr Singhammer, besteht die Möglichkeit, "Leben zu bewerten" nicht bereits im Rahmen der Fruchtwasseruntersuchung?"
Johannes_Singhammer: Die Fruchtwasseruntersuchung unterscheidet sich fundamental zur PID: Bei der Fruchtwasseruntersuchung geht es darum, während der Schwangerschaft Aufschlüsse und Erkenntnisse über das ungeborene Kind zu erlangen. Eine Auswahl menschlichen Lebens dabei ist ausdrücklich verboten. Bei der PID geht es tatsächlich um Auswahl menschlichen Lebens. Deshalb bin ich gegen die PID.
Moderator: Frage von Free an Johannes Singhammer:    "Herr Singhammer, vielen Dank für die Erläuterung Ihrer Position zu PID. Trotzdem ist mir Ihr Standpunkt noch nicht vollständig klar. Sie sagen, die PID überfordert die Medizin. Wie meinen Sie das genau?"
Johannes_Singhammer: Die Medizin ist überfordert bei der Frage, welches Leben lebenswert ist und welches nicht. Ein Beispiel: Sog. spätmanifestierende Krankheiten. Bei der schlimmen Erkrankung des Veitstanz leben Menschen 50 Jahre gesund, um dann von einer schrecklichen Krankheit gepackt zu werden. Zählen jetzt die 50 Jahre gesunden Lebens nichts? Was ist die Grenze? Deshalb überfordert die PID nicht nur die Medizin, sondern auch alle anderen, die in eine derartige Entscheidungssituation gedrängt werden.
Moderator: Frage von BAnzler an Johannes Singhammer:    "Die CDU hat sich, meines Wissens, bei der Verabschiedung ihres Grundsatzprogramms vor einigen Jahren mit relativ klarer Mehrheit für ein PID-Verbot ausgesprochen. Auf dem Parteitag vor einem Jahr erhielt das PID-Verbot nur noch eine knappe Mehrheit. Wie ist dies zu erklären? Und allgemein gefragt: welche Rolle spielt der Lebensschutz noch für das Selbstverständnis der C-Parteien?"
Johannes_Singhammer: Ich bin froh, dass rund 70 Prozent der CDU/CSU-Kolleginnen und -Kollegen im Deutschen Bundestag mit ihrer Entscheidung ein deutliches Zeichen gegen die PID gesetzt haben. Ich bin auch froh, dass es im Sommer 2009 geglückt ist, die Spätabtreibung gegen heftige Widerstände für den Schutz des Lebens neu zu regeln. Klar ist aber, es bedarf weiterer Anstrengungen.
Moderator: Frage von Free an Johannes Singhammer:    "Herr Singhammer, Sie sagen, dass sich die Anwendung der PID in allen Ländern, in denen sie zulässig ist, ausgeweitet hat trotz strenger Auflagen. Können Sie ein anschauliches Beispiel nennen, in welchem Land es in welcher Frage zu ethisch bedenklichen Selektionen gekommen ist?"
Johannes_Singhammer: Großbritannien, die Vereinigte Staaten und einige Länder im asiatischen Raum, wo wir leider davon hören, dass sogar nach dem Geschlecht der Kinder ausgewählt wird.
Moderator: Frage von Free an Johannes Singhammer:    "Herr Singhammer, überfordert es uns als Menschen nicht auch, dass wir eine Krankheit wie den Veitstanz vorhersehen können und als Eltern nicht entscheiden dürfen, diesem Schicksal vorzugreifen? Ich respektiere Ihre Ansicht, dass sie diese Entscheidung für fragwürdig halten. Ist es aber andererseits nicht Bevormundung, anderen Eltern diese Entscheidung nicht zu erlauben?"
Johannes_Singhammer: Es ist eindeutig keine Bevormundung, denn beispielweise weiß heute niemand, ob in den kommenden 50 Jahren die medizinische Forschung ein Mittel gegen diese schreckliche Krankheit findet. Die Entscheidung gegen ein Kind mit dieser Veranlagung im Jahre 2011 ist aber endgültig. Gegenfrage: Wenn ein Elternpaar wüsste, dass sein Kind bei einem Verkehrsunfall in frühen Jahren zu Tode käme, sollte es dann auch die Möglichkeit einer vorherigen Einflussnahme geben? Wohl kein Mensch würde so etwas nur denken wollen.
Moderator: Frage von palma an Johannes Singhammer: "Kann es Ausnahmen geben, zum Beispiel wenn bei den Eltern Behinderungen vorliegen?"
Johannes_Singhammer: Ich bin gegen Ausnahmen. Vor allem warne ich vor einem Rechtfertigungszwang von Eltern mit behinderten Kindern. Ich warne aber auch vor der schlimmen Situation, in die man Menschen mit einem Handicap bringen könnte, welche an einer Krankheit leiden, die im Katalog des Auswählens und Verwerfens von menschlichen Embryonen enthalten sind.
Moderator: Herr Singhammer, leider sind wir schon am Ende der Zeit angekommen, aber ich danke Ihnen recht herzlich, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben, Fragen zu diesem schwierigen Thema zu beantworten.
Moderator: Wenn es Ihnen gefallen hat, empfehlen Sie uns gerne weiter.
Johannes_Singhammer: Ich danke allen, die sich beteiligt haben, mit großem Sachverstand.
Moderator: Ich wünsche noch einen schönen Abend und danke Ihnen und unseren Mitgliedern.
: Moderator hat den Raum verlassen