Chat-Transkript vom 27.07.2004

Dr. Christean Wagner, Hessischer Justizminister

Thema: Stalking - Die (hessische) Gesetzesinitiative

: Dhana_(pll) hat den Raum betreten
: Moderator hat den Raum betreten
Moderator: Hallo Kanzlerin!
Dhana_(pll): Hi großer Moderator ;)
: Christean_Wagner hat den Raum betreten
Dhana_(pll): Guten Tag :))
Moderator: So, jetzt klappt es ja. :)
Dhana_(pll): Danke für die schnelle Hild Jens, bist ein Schatz ;)
Dhana_(pll): Hilfe
Moderator: So...
Moderator: Noch ca. 2 Minuten dann beginnt der Chat.
Moderator: Ein Blick auf die Uhr...
Moderator: ... und wir haben 17.00 Uhr.
Moderator: Der Chat beginnt jetzt offiziell. Ich begrüße alle Zuschauer da draußen, aber natürlich auch vor allem Christean Wagner, den hessischen Justizminister, und Dhana, die amtierende Internet-Kanzlerin.
Moderator: Herr Wagner, es ist so üblich hier, daß sich jeder erst einmal den Chat-Zuschauern vorstellt. Würden Sie dieser Tradition auch folgen?
Dhana_(pll): Ebenfalls viele Grüße von mir und ein herzliches Dankeschön an unseren Gast, daß er sich für uns Zeit nimmt und uns hier besucht :)
Christean_Wagner: Hallo. Es freut mich, dass Sie sich für das Thema "Stalking" interessieren und mit mir diskutieren wollen. Erst einmal möchte ich mich vorstellen: Mein Name ist Christean Wagner. Ich bin 61 Jahre alt und seit 5 Jahren Justizminister in Hessen.
Moderator: <-- wechselt mal die Farbe, damit man die beiden blaus nicht verwechselt...
Dhana_(pll): Ich bin Daniela Rohde, 24, studiere Mathematik und bin seit dem 13.7. amtierenden Internetkanzlerin.
Moderator: Mein Name ist Jens Matheuszik, 26 Jahre alt, war Ende 2001/Anfang 2002 Internet-Kanzler und seit rund einem halben Jahr Mitglied der dol2day-Redaktion - und der heutige Moderator.
Moderator: Herr Wagner, wollen Sie vielleicht erst einmal kurz was zur hessischen Gesetzesinitiative i.S. Stalking erklären? Ich denke nicht jeder Zuschauer weiß sofort Bescheid darüber.
Christean_Wagner: Wir wollen einen eigenen Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufnehmen, der für das unzumutbare Nachstellen oder Belästigen etwa durch Telefonterror, fortwährende ´Versuche der Kontaktaufnahme, systematisches Verfolgen oder Beobachten, fortgesetze Beschimpfungen usw. eine Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vorsieht.
Moderator: Frage von advodiab an Dr. Christean Wagner:    "erstmal guten abend. welche gesetzlichen rahmenbedingungen mussten bzw. müssen geschaffen / erweitert werden, um sich gesetzlich gegen stalking wehren zu können?"
Christean_Wagner: Zur Zeit sind nur Einzelhandlungen z.B. Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung oder Beleidigung strafbar. Nicht erfasst ist aber die Kombination oder die ständige Wiederholung, die zu einer besonders unzumutbaren Beeinträchtigung des Opfers führt. Hier besteht eine Regelungslücke im Gesetz. P.S.: Unser Gesetzentwurf ist unter www.hmdj.justiz.hessen.de mit Begründung einsehbar.
Dhana_(pll): Das Problem Stalking gibt es schon länger und m.W. wurden in den USA Anfang der 90er schon entsprechende Gesetze erlassen, warum ist in Deutschland bisher nichts passiert und was war für sie der Anlaß, dieses Thema nun aufzugreifen?
Moderator: .
Christean_Wagner: Eine erste Untersuchung zu dem Thema hat ergeben, dass in Deutschland etwa 12% aller Personen schon einmal Opfer von "Stalking" geworden sind. Das Problem ist von uns in Deutschland als erstem Bundesland erkannt worden. Aus diesem Grunde haben wir es im Jahre 2003 in das hessische Regierungsprogramm aufgenommen und zügig einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Moderator: Frage von Flocki an Dr. Christean Wagner:    "Herr Wagner, wäre der Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung unzumutbarer Belästigungen nicht eher die Aufgabe von Frau Brigitte Zypries gewesen?"
Christean_Wagner: Grundsätzlich ist die Strafgesetzgebung Bundesangelegenheit. Wenn der Bund allerdings untätig bleibt, haben die Länder über den Bundesrat die Möglichkeit, Gesetzesentwürfe einzubringen.
Moderator: Frage von Clubfan74 an Dr. Christean Wagner:    "Für wie groß halten Sie die Gefahr des Scheiterns aus parteitaktischen Gründen im Bundesrat? Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an Ihr Scheitern mit einem verschärften Gesetzentwurf zur Sicherungsverwahrung bei Kinderschändern, obwohl der Kanzler damals diese noch auf ewig wegsperren wollte...."
Christean_Wagner: Ein Scheitern ist zwar grundsätzlich möglich, ich hoffe aber sehr, dass die Vernunft im Interesse des Opferschutzes siegen wird. Es gibt auch schon positive Signale aus anderen Ländern.
Dhana_(pll): Welchen Weg muß der Entwurf jetzt gehen, bis er verabschiedetes Gesetz wird und wie lange wird das voraussichtlich noch dauern?
Moderator: Frage von Clubfan74 an Dr. Christean Wagner:    "gesetzt dem fall, der gesetzesentwurf scheitert: setzt hessen das alleine um, evtl. mit einigen anderen bundesländern zusammen?"
Christean_Wagner: Das Gesetzgebungsverfahren wird normalerweise etwa ein halbes Jahr dauern. Bundesrat und Bundestag müssen darüber abstimmen. Hessen kann das Gesetz wegen der Zuständigkeit des Bundes für das Strafrecht aber nicht alleine umsetzen, auch nicht mit anderen Bundesländern zusammen.
Moderator: Frage von Clubfan74 an Dr. Christean Wagner:    "welche andere länder haben zustimmung signalisiert?"
Moderator: Frage von Flocki an Dr. Christean Wagner:    "Welche anderen Länder haben denn bisher Zustimmung signalisiert?"
Christean_Wagner: Aus Rheinland-Pfalz gibt es einen Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf, der unsere Formulierungen wörtlich übernimmt, allerdings die Frage im Gewaltschutzgesetz aufgreifen will. Das Problem wurde also auch dort erkannt. Das Bundesjustizministerium ist wie die anderen Bundesländer zur Zeit dabei, unseren Entwurf zu prüfen.
Moderator: Frage von advodiab an Dr. Christean Wagner:    "gibt es gruppierungen / parteien / länder, welche klare ablehnung signalisiert haben?"
Christean_Wagner: Lediglich die hessischen Grünen haben sich bisher von unserem Entwurf eindeutig distanziert.
Moderator: Frage von mimmel an Dr. Christean Wagner:    "Ist das Thema nicht derart wichtig, dass eine EU-Regelung angestrebt werden müßte? Erfahrungen in Nachbarstaaten gibt es ja bereits, oder?"
Moderator: Frage von Clubfan74 an Dr. Christean Wagner:    "gibt es für die ablehnende haltung der hessischen grünen gründe? welche?"
Moderator: Frage von advodiab an Dr. Christean Wagner:    "aus welchen gründen?"
Christean_Wagner: Strafrecht ist bisher noch nationales Recht, so dass eine EU-Regelung noch nicht möglich ist. Die hessischen Grünen halten das Gewaltschutzgesetz für ausreichend und die Formulierungen in unserem Entwurf für zu unbestimmt. Beim Gewaltschutzgesetz muss das Opfer allerdings zuerst eine zivilrechtliche Unterlassungsverfügung erwirken. Erst ein Verstoß gegen diese Verfügung führt zur Strafbarkeit. Der Weg ist umständlich und nicht opferfreundlich. Unbestimmte Rechtsbegriffe gibt es im gesamten Strafrecht. Zum richterlichen Handwerkszeug gehört es, solche Begriffe auszulegen. Das Gesetz lehnt sich in seinen Formulierungen an bestehende Rechtsbegriffe an. Im übrigen sind Regelbeispiele vorgegeben.
Moderator: Frage von Flocki an Dr. Christean Wagner:    "Beim Lesen des Entwurfes und der Begründung traf ich auf die "victimologische Dimension". Was hat man sich darunter vorzustellen?"
Christean_Wagner: Das Stammt aus der fachlichen Begründung des Gesetzes. Damit ist die Opfersicht gemeint. Das Opfer ist viel intensiver bedroht, wenn sich einzelne Handlungen - wie z.B. Beleidgungen, belästigende Telefonanrufe - ständig wiederholen.
Moderator: Frage von philie an Dr. Christean Wagner:    "@Aes Herr Wagner, in dem Gesetzesentwurf ist die Rede davon, daß die Handlungen "fortwährend" passieren müssen. Wie genau hat man dies zu verstehen? Wie groß muss der Zeitraum sein, damit es als "fortwährend" gilt?"
Christean_Wagner: Es muss eine gewisse Kontinuität und Häufigkeit der Handlungen gegeben sein. Letztendlich kommt es auf eine Gesamtschau an, die der Richter im Einzelfall vornehmen muss. In vielen Fällen reichen die Belästigungen über Monate und Jahre. 2maliges Klingeln wird hingegen nicht genügen.
Dhana_(pll): Wie sieht es mit Stalking über Internet aus, es gibt ja Internetbenutzer z.B. in einer Community, die plötzlich von wildfremden Leuten, ohne sie vorher aus dem realen Leben zu kennen, verfolgt und terrorisiert werden. Ab wann fällt das unter Stalking und was wird man dagegen machen können, wenn Ihr Gesetzesentwurf durchkommt?
Moderator: Dazu passend:
Moderator: Frage von Flocki an Dr. Christean Wagner:    "Gerade hinter der Anonymität des Internets gibt es viele, die sich schneller zu Beleidigungen und ähnlichem hinreißen lassen. Zählen sie Belästigungen im Internet auch zum "Stalking"?"
Dhana_(pll): Es dürfte ja wesentlich schwerer sein, so etwas überhaupt nachzuweisen, als Telefonanrufe und nächtliche Besuche und wenn man sowas erzählt wird es oft nur belächelt und nicht ernst genommen
Christean_Wagner: Die Art der Belästigung ist unerheblich - es werden alle Kommunikationsmittel erfasst. Wenn unser Entwurf Gesetz wird, genügt ein Strafantrag, dann ermittelt die Staatsanwaltschaft. Die E-Mails können als Beweismittel dienen.
Moderator: Frage von mimmel an Dr. Christean Wagner:    "Nochmal grundsätzlich: Ich sehe Herrn Minister Wagner in den ARD-Tagesthemen, im ZDF-heutejournal. Das Medieninteresse ist gewaltig, weil es die Menschen betrifft. Ketzerisch gefragt: Haben einige Politiker das Problem noch nicht erkannt?"
Christean_Wagner: Möglicherweise war ihnen die Dimension des Problems nicht bekannt. Die nunmehr veröffentlichten Zahlen des Mannheimer Zentralinstituts für seelische Gesundheit sprechen eine andere Sprache. Im Sinne des Opferschutzes ist eine Regelung dringend notwendig. Hier sollte sich niemand verschließen.
Moderator: Eine allerletzte Frage...
Moderator: Frage von Atlanter an Dr. Christean Wagner:    "Birgt ein Gesetz gegen Mobbing nicht die Gefahr, das dadurch Menschen als Mobber denunziert werden können? "
Dhana_(pll): Wenn Beziehungen zerbrechen versucht oft der eine den anderen zurück zu gewinnen und ruft dabei auch oft an und schickt Geschenke o.ä. Ab wann fällt sowas unter Stalking`?
Dhana_(pll): ups, sorry Moderator ;)
Moderator: Kein Problem Kanzlerin - hat jeder eine letzte Frage. ;)
Christean_Wagner: Mobbing ist ein anderes Problem, vor allem am Arbeitsplatz. Gegen Denunzianten schützt im Übrigen der § 164 des Strafgesetzbuches (falsche Verdächtigung). Der Straftatbestand des Stalkings ist nur dann erfüllt, wenn sich das Opfer unmißverständlich gegen die Belästigung verwahrt und die Handlungen dann in unzumutbarer Weise fortgesetzt werden.
Moderator: So... dann ist der Chat auch schon vorbei - ich danke Dr. Christean Wagner für seine Bereitschaft an diesem Chat teilzunehmen, danke Dhana für die Organisation des Chats und natürlich allen Chattern für ihre Fragen!
Dhana_(pll): Ebenfalls danke, daß Sie so kurzfristig gekommen sind und die Fragen zu einem meiner Meinung nach dringend nötigen Gesetzesentwurf beantwortet haben :)
Dhana_(pll): Und ein Dankeschön an unseren Moderator ;)
Christean_Wagner: Der Chat hat mir große Freunde bereitet - gerne wieder mal. Wenn noch Fragen sein sollten, schauen Sie auf unsere Internetseite www.hmdj.justiz.hessen.de. Dort werden wir über den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens berichten. Anfragen werden wir selbstverständlich beantworten.
Moderator: Wenn alle den Chat verlassen haben (über "Abmelden") wird das Transkript zum Nachlesen erstellt.
Dhana_(pll): Dann bis zum nächsten Mal :)
: Dhana_(pll) hat den Raum verlassen
: Moderator hat den Raum verlassen